Offenbarungen der hiesigen Seele

Offenbarung 1

Offenbarung 2

Reaktionen

Auffällig ist, dass Rapid innerhalb von drei Tagen auf das Ereignis reagiert hat; was mit den Herren Studiosi geschieht, weiß man nicht so genau und es beschleicht uns ein beklemmendes Gefühl, wenn man sich vor Augen führt, dass diese Personen in einigen Jahren als Juristen über Sachverhalte zu entscheiden haben, dieses Gedankengut im Hinterkopf habend. Wäre da nicht mehr zu tun? Ein interessanter Aspekt der Fernsehdokumentation wäre aber auch für den Bereich „Fußball“ überlegenswert. Die 32 Personen, die der sonderbaren Facebook-Gruppe angehörten, wurden von Danielle Spera (Direktorin des jüdischen Museums) eingeladen, an einem Workshop teilzunehmen und tatsächlich haben sich zwei dieser 32 Personen dazu bereit erklärt. Mein Vorschlag dazu am Ende des Artikels. Symbolisch für dieses Thema verwende ich ein Bild des Holocaust-Mahnmals in Berlin. (Quelle pixabay) Obwohl hier zwei „Offenbarungen der hiesigen Seele“ zufällig zusammentreffen, möchte ich als langjähriger Beobachter der Fußballs in der Variante „Rapid“ darauf hinweisen, dass der Schweregrad der Verfehlungen sehr verschieden ist – auch die Konsequenzen. Bei den Studiosi bleibt einem einfach die Spucke weg, man findet weder eine Erklärung, noch eine Entschuldigung – aber Konsequenzen bleiben aus. Laut Fernsehreport kann man sie nicht etwa von Studium ausschließen. Die Rufe am Fußballplatz sind erlernt und tradiert „am Platz“, sind Teil einer Ausdrucksforn des ewig scheinenden Konflikts zwischen Grün-weiß und Violett. Anders als bei den Akademikern sind diese Rufe öffentlich und geben uns die Chance, etwas zu verändern. Aber die Rufer sind keine praktizierenden Antisemiten wie die Zeitungen meinen. Konsequenzen folgten auf dem Fuß. Wenn diese beiden Verfehlungen gleich gewichtet wären, müssten doch auch die Konsequenzen dieselben sein – oder nicht? Dabei ist es aber genau umgekehrt. Jene, die trotz vorhandenem Verständnis für die Rechtslage gegen jede Moralvorstellung handeln, müssen praktisch keine Konsequenzen erwarten; warum eigentlich? Sind sie etwas Besseres? Und die anderen, die etwas wiederholen, was sich seit Jahrzehnten ungeahndet im Bereich des Wiener Derby wiederholt, werden zukünftig nicht mehr das Stadion betreten dürfen. Aber sind wir daran nicht alle ein bisschen mitschuld, indem wir in all den Jahren vorher dieselben Rufe geduldet haben und zu wenig dagegen unternommen haben?

Meine Wahrnehmung

Wir waren bei dem Spiel von Rapid II gegen die Austria Amateure auch anwesend und haben gegen Spielende einen Tumult wahrgenommen, haben aber die besagten Rufe nicht erkannt. Auch die in größerer Nähe stehenden Rapid-II-„HardCore“-Anhänger haben es nicht unmittelbar gehört aber so nach und nach wurde bekannt, um welche Gruppe es sich gehandelt hat. Besucht man Fußballspiele, dann gehört man nach einigen Jahren irgendwie „dazu“. Ich fürchte, ich selbst bin da mittendrin in „der Szene“. Nicht im Zentrum des Blocks, eher in der Peripherie, aber durch die große Anzahl unserer Begegnungen mit dem Publikum bei Spielen von Rapid II wissen wir, wie groß die Abneigung gegenüber dem jeweiligen Gegner und ganz besonders gegen den Stadtrivalen ist. Am Fußballplatz gibt es ein Vokabular, das mir persönlich überhaupt nicht behagt, und ich habe mir angewöhnt, das Gehörte dort zu belassen, wo ich es gehört habe: am Fußballplatz und man darf es nicht in den Alltag stellen und aus dem Zusammenhang. Und ganz besonder aber haben – nach meiner Ansicht – diese Rufe im Fall der betroffenen Gruppe – nichts mit Antisemitismus zu tun, auch, wenn es sich so anhört. Einzelne Fans wurden mehr durch den Fanblock denn durch ein intaktes familiäres Umfeld sozialisiert. Dieses Umfeld im Block ist es, das man behutsam beeinflussen muss. Behutsam deswegen, weil es nicht darum gehen kann, jemanden auszusperren, sondern darum, Mängel der Sozialisierung zu korrigieren. Beispiel 1: Eine sehr freundliche Besucherin von Rapid-Spielen, die sich abseits des Spiels durchaus gepflegt auszudrücken pflegt, verwandelt sich während eines Spiels zu einem Hardcore-Fan der Extraklasse. Sie gerät dabei so in Fahrt, dass sie in jeden gegner-verachtenden Chor einstimmen würde, der sich anbietet; ganz egal, mit dem man den Gegner jeweils vergleicht. Das ist völlig irrational aber auch das kann Fußball. Wahrscheinlich ist ein Fußballspiel sogar ein wichtiges Ventil, die Mensch auslebt, wenn er sich die ganze Woche diszipliniert betragen muss. Die Bekannten dieser Besucherin würden sich wundern, wenn sie die Kommentare hören würden. Beispiel 2: Ein außergewöhnlich treuer Rapid-Fan bezeichnet unsere violetten Freunde manchmal „die Juden“, speziell, wenn wir verlieren. Glaubt es mir, er hat keine Ahnung, was er da sagt. Er spricht nur etwas nach, was er in seiner sonstigen Umgebung aufgeschnappt hat und weil es im Zusammenhang mit der Austria verwendet wird. Von seinem Elternhaus hat er es nicht. Es könnte durchaus passieren, dass er das bei einem Rückstand von Rapid hinausschreit und irgendwo eine Kamera das aufnimmt – und dann haben wir den Salat; er wir möglicherweise wie die vier anderen von Rapid-Veranstaltungen ausgeschlossen. Eine schwerere Bestrafung kann es für ihn gar nicht geben. Es wäre so wie Einzelhaft unter verschärften Bedingungen. Noch einmal: er hat keine Ahnung, was er da sagt – ganz im Gegensatz zu den eingangs erwähnten Juristen. Und es genügt nicht, ihm zu sagen, dass man das nicht sagt; dazu gehört viel mehr. Bedenkt, er verbring jede freie Minute am Fußballplatz und der Fußballplatz ist seine verlängerte Kinderstube. Ich kann ihn vorsichtig korrigieren aber mit mir verbringt er wenige Minuten aber mit dem Block viele Stunden. Seine Umgebung muss sich ändern, erst dann hat er eine Chance. Und hier wieder ist der Verein gefordert. Angesichts der neuen Massen im Fanblock hat ein Fußballverein eben auch die Aufgabe, seine Anhänger in einer Art Späterziehung zu beeinflussen. Strafen sind aber nur eine Möglichkeit; eine ziemlich hilflose und unwirksame . wie mir scheint. Rapid hat dabei den Vorteil eines sehr heterogenen Fanblocks, der sich darüber hinaus auch als unpolitisch erklärt hat und von dem bekannt ist, dass er innerhalb der Spiele von Rapid solche Äußerungen wie sie auf West 1 zu hören waren, von sich aus unterbindet. Es dürfte schon Gruppen innerhalb des Blocks geben, denen man extremes Gedankengut zuschreiben kann. Aber die Gruppe auf West 1 war das vermutlich nicht. Es wurden hier Slogans gerufen, die sich über Jahrzehnte hartnäckig in den jeweiligen Fanblöcken gehalten haben (betrifft die Austria wegen der Kleinheit des Fanblocks noch mehr), ohne dass man das seitens der Vereine ausreichend bekämpft hätte. Die Maßnahmen, die der Verein zur Aufarbeitung beigetragen hat, also das Museum, die Aufarbeitung der Kriegsjahre durch eine Historiker-Kommission, zusammengefasst im Buch „Grün-weiß unter dem Hakenkreuz“, beeindrucken mich als Leser aber kaum jene, die es betrifft, weil das alles in einer Sprachwelt stattfindet, die eine ihnen fremde ist. Wer von den eigentlichen Adressaten sitzt bei der Sendung „Thema“ vor dem Fernseher und ist betroffen? Wahrscheinlich keiner.

Wanderer kommt Du zu einem Wiener Stadtderby…

…und nehmen wir an, Du kommst aus Deutschland. Dann wirst Du Dich wundern, was hierzulande alles „einegeht“, was westlich von Salzburg eventuell mit einer Strafe belegt wäre. Es geht um die Texte auf Transparenten, Fahnen und Doppelhaltern und die Gesänge zweifelhaften Inhalts. Ich bedanke mich an dieser Stelle für Links aus der deutschen Presse, die mir ein treuer Leser des Tagebuchs vor einiger Zeit zugesendet hat und die zeigen, dass ein Fußballverein auch anders reagieren kann als es bei Rapid der Fall ist.

„Scheiß xyz“

Die Verbände und Vereine versuchen, die markige Sprache am Fußballplatz zurück zu drängen.

Für einen Doppelhalter mit der Aufschrift „Scheiß Red Bull“ wurde der betreffende Verein vom DFB bestraft; ein Ausspruch, der – laut Portal Faszination-Fankurve – in jedem Bundesligastadion zu hören wäre, auf vielen Fanschals, Trikots und Plakaten aufgeschrieben steht und praktisch Teil der Fußballszene geworden ist.

Die Vereine versuchen, Strafen auf die Verursacher abzuwälzen.

Ein Böllerwerfer des 1 FC Köln aber auch der Fangesang „Dietmar Hopp du Sohn einer Hure“ oder „BVB Hurensöhne“ mit Strafen belegt. Zwar wird in den Beiträgen eine unklare Haltung des DFB kritisiert, aber diese Links sollen zeigen, dass man sich auch beim Nachbarn mit diesen Auswüchsen auseinander setzt.

Die Kinder sind immer aus Wien

Wählerversammlung der NSDAP 1932
Etwa „begrüßen“ uns die Austria-Anhänger mit „Rapid verrecke“, worauf sich die Rapid-Anhänger geradezu als Literaten betätigen und rufen ihrerseits „Man liest an jeder Ecke, Austria verrecke.“ Unappetitlich, oder? Wer ganz genau hinhört, weiß, dass es auch den zwischen den eigentlich verfeindeten Fangruppen abgestimmten Ruf „Rapid“ aus dem Rapid-Sektor gibt, auf den der Austria-Sektor konzertiert „verrecke“ antwortet. Die Gruppen sind einander ähnlicher als man das auf Grund der Farben meinen würde. Es findet eine Art Scheingefecht statt. Und wozu dieses? Es dient dem Zusammenhalt der Gruppe! Und zu diesem Zusammenhalt gehört auch das Übertreten von Grenzen. Sei es gegen unbequeme Gesetze wie jenes über die Pyrotechnik, sei es in Form antisemitischer Rufe. Nach meiner Ansicht überwiegt der Aspekt der Grenzenübertretung gegenüber dem Aspekt tatsächlichen Antisemitismus. Ich habe mich anlässlich eines in dieser Hinsicht besonders auffälligen Auswärtsspiels im Jahr 2009 an den Fanbetreuer der Austria gewandt (damals gab’s einen solchen, später nicht mehr; wie es heute ist, weiß ich nicht) und wir waren beide einer Meinung, dass man da was tun müsse. Nun sind aber viele Jahre vergangen und es wird nicht besser. Wir erleben, dass diese markige Ausdrucksweise zu einem Teil des Spiels geworden ist und dass weder die wechselseitigen Beleidigungen noch die antisemitischen Rufe denselben Stellenwert haben wie wenn sie in auf anderem Boden in derselben Form verwendet werden würden. In einem Artikel in der „Tagespresse“ wurde dem Sprayer „Puber“ vom Richter ein einjähriger Kalligrafiekurs zur Verbesserung seiner grafischen Kompetenz verordnet. Das wirkliche Urteil fiel natürlich anders aus. Aber so schlecht war die Idee gar nicht. Was wäre, wenn man die Texter des Fanblocks dazu einlädt, gemeinsam mit realen Autoren (Franzobel wäre ein solcher, der eine große Affinität zu Fußball hat) zu einem Workshop einlädt, dessen Ziel es ist, Texte zu erarbeiten, die sowohl die Aggression gegen den Gegner zum Ausdruck bringen und auch einer moderaten moralischen Kritik standhalten?

Nicht strafen, informieren!

Ja, man muss etwas tun, aber vergesst Stadionverbote, die ändern gar nichts, die beruhigen nur die Öffentlichkeit. Verlangen wir von den Betroffenen die Teilnahme an einem verpflichtenden Kurs, der die Sachverhalte so aufarbeitet, dass es „unter die Haut“ geht. Dazu gehört eine mehr als erklärende Führung im Rapideum mit dem Thema „Fußball im Nationalsozialismus“ und eine Schulung „Judentum für Fußballfans“ im jüdischen Museum. Die Betroffenen sollten sich nicht nur einen Vortrag anhören müssen. Es gehören harte Filme und audiovisuell aufbearbeitetes Anschauungmaterial über die damalige Zeit dazu und über diese Filme müsste verpflichtend diskutiert werden. Jeder Teilnehmer muss in einer mündlichen und/oder schriftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema zeigen, dass es ihm bewusst ist, was es bedeutet, im historischen Kontext jemanden als „Juden“ zu beschimpfen. Ein geschickt ausgearbeiteter Multiple-Choice-Test könnte so eine Auseinandersetzung- unabhängig von der Bildungsstufe – sein, wir kennen das ja vom Führerschein.

Aktionismus

Die belehrende Art, gegen Antisemitismus aufzutreten, ist möglicherweise bei den eigentlichen Adressaten nicht sehr effizient, weil man mit Ablehnung rechnen muss. Vielleicht können aber außergewöhnliche Methoden helfen, Fußballfans zu beeinflussen? Ich bin nicht mehr in dem Alter, aktionistisch in einer Fankurve stehen zu wollen. Anderseits beobachte ich aber, dass die „große Gruppe“ sehr anziehend für junge Rapid-Fans ist. Vielleicht könnte man diese Anziehungskraft nutzen, um bei Spielen gezielt Aktionen durchzuführen, die auf Dinge hinweisen, die man beeinflussen will. Als Techniker bin ich zu wenig phantasiebegabt aber für Künstler könnten das willkommene Projekte sein. Der Block ist während des Spiels „unter sich“. Die Aktionisten brechen dieses „unters sich“ auf. Ich meine mit diesem Aktionismus, dass Teilnehmer eines (Kunst-)projekts auf den Rängen auftreten. Ein paar Minuten genügen vielleicht. Die wichtigste Botschaft – ganz egal, was sie sonst tun – ist, dass die Kurve nicht der Kurve allein gehört, sondern ein öffentlicher Ort ist und nicht ein „rechtsfreier Raum“, wie das gerne gewollt wird. Nehmen wir zum Beispiel an, dass diese Aktivisten im Block „Andersartigkeit“, „Judentum“, „Verfolgung“ oder „Aggression“ darstellen, etwas, was die Fans eine Zeitlang aushalten sollen. Man müsste solche Vorschläge nur einmal einer Künstlergruppe unterbreiten, Künstler sind sicher erfinderischer. Von verbalen Verfehlungen ist ja nicht der Fanblock allein betroffen, alle Tribünen gehören dazu (wie ich mich überzeugen konnte) , und daher könnten solche Aktionen durchaus stadionweit durchgeführt werden, indem die Künstler durch alle Tribünen wandern. „Wiener Zucker“ leistet sich solche Aktionen – für höhere Umsätze und gegen die Volksgesundheit. Den Aktionismus können wir vom „Wiener Zucker“ abschauen und in den Dienst der guten Sache stellen.

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